Wohnpolitische Forderungen zur Kommunalwahl

Wohnraumknappheit und im Bundesvergleich extrem hohe Mieten sind in Tübingen trotz reger Bautätigkeit drängende Probleme. Besonders betroffen sind davon nicht nur Geringverdienende, Alleinerziehende, Arbeitslose und Flüchtlinge, sondern auch Familien und Menschen mit mittleren Einkommen, die sich das Wohnen in Tübingen heute kaum mehr leisten können. Verstärkt investieren institutionelle Anleger in Mietwohnungen und erwirtschaften damit immense Renditen (z.B. im Depot oder den Ammerterrassen) – zu Lasten der oben genannten gesellschaftlichen Gruppen. Für die meisten Wohnungssuchenden ist der Erwerb von Eigentum auch keine Option: Zu hoch sind die Quadratmeterpreise und die Baukosten inzwischen. Nicht zuletzt machen sich auch die Auswirkungen des Verkaufs von über 400 Wohnungen der LBBW an die börsennotierte Patrizia Immobilien AG auf das Mietniveau bemerkbar. Neue Luxusprojekte entstehen auf ehemaligen Landesflächen im Rotbad und in der Haußerstraße.
Daher muss „Bezahlbares Wohnen“ vor diesen Hintergründen eine entscheidende Rolle im Kommunalwahlkampf spielen! Wir fordern die im Gemeinderat vertretenen Parteien und Gruppierungen auf, auf diesem Feld aktiv zu werden und neue Handlungsspielräume zu eröffnen. Die Einrichtung einer Wohnberatungsstelle und die im Haushalt zur Förderung günstigen Wohnraums eingestellten Mittel von 800.000€ sehen wir als erste Schritte in diese Richtung.
Unsere darüber hinausgehenden Überlegungen möchten wir im Folgenden darlegen.

  • Grundstücks- und Immobilienverkäufe vermeiden: Grundsätzlich sollten Grundstücks- und Immobilienverkäufe aus öffentlichem Besitz vermieden werden. Wir fordern die Stadt und die GWG auf, Grundstücke und Immobilien in Zukunft verstärkt in Erbpacht zur Nutzung zur Verfügung zu stellen, wenn sie diese nicht selbst bewirtschaften können oder wollen. Ist ein Verkauf unvermeidlich, sollte dieser nur unter Berücksichtigung und Prüfung sozialer und ökologischer Belange stattfinden. Für den Neubau oder den Erhalt von Mietwohnungen sind die Grundstücks- und Immobilienpreise mit der wichtigste Faktor für die spätere Miethöhe. Wir fordern daher, dass weiterhin nicht im Bieterwettbewerb über den Preis entschieden, sondern wie bisher ein Festpreis verlangt wird. Die negativen Folgen von Ausschreibungen „für den Meistbietenden“ sind am Beispiel Haußerstraße oder im Rotbad deutlich geworden. Die Gemeinderatsfraktionen müssen von der kommunalen Ebene in die Landesebene daraufhin wirken, dass keine weiteren Landesimmobilien zu Spekulationszwecken verkauft werden.
  • Effektive Mietobergrenzen beim Verkauf städtischer Grundstücke und Wohnungen festsetzen: Wir fordern, dass die Miete in Wohnungen, die durch Grundstücks- oder Immobilienverkäufe der Stadt oder der GWG entstehen, langfristig bezahlbar bleibt. Dies lässt sich am besten durch die Eintragung einer die Miethöhe begrenzenden Reallast im Grundbuch erreichen. Die Mietobergrenze würde jährlich vom Gemeinderat bestimmt, so dass Instandhaltung und Sanierung möglich sind, Spekulationsgewinne aber ausgeschlossen werden. Dieses Instrument wurde bereits im Französischen Viertel genutzt, allerdings sollte die Reallast in Zukunft mit wesentlich längerer Laufzeit versehen werden und die Einhaltung der Mietobergrenze effektiv kontrolliert werden. Dieses Vorgehen begrenzt neben der Miethöhe auch effektiv den Immobilienwert durch die Begrenzung des zu erwartenden Gewinns und beugt daher Immobilienspekulation und Preistreiberei vor.
  • Einrichtung eines „Wohnungsbaufonds zur Förderung bezahlbaren Wohnraums“: Neben den Grundstückspreisen sind es vor allem die Renditewünsche von Investoren sowie die Kosten für Fremd- und Eigenkapital, die spätere Miethöhen bestimmen. In Tübingen scheinen genügend Menschen auf der Suche nach sozialen und regionalen Geldanlagemöglichkeiten zu sein, so dass es möglich sein sollte, die Finanzierung von Vorhaben zur Schaffung oder dem Erhalt von Wohnraum in diesem Punkt zu entlasten. Viele BürgerInnen sind bereit, auf Teile der Erträge oder Sicherheiten zu verzichten. Diese Gelder ersetzen das von Banken für eine Finanzierung geforderte Eigenkapital. Der Fonds hätte die Aufgabe, solche Gelder zentral zu sammeln und unter transparenten Bedingungen an Projekte weiterzugeben. Außerdem könnte der Fonds von der Stadt mit Kapital aus den in den Haushalt eingestellten Mitteln zur Förderung bezahlbaren Wohnraums befüllt werden, die somit dauerhaft für die Unterstützung von Initiativen für Wohnraum zur Verfügung stünden („revolvierender Fonds“). Die Verwaltungskosten des Fonds (10.000 bis 20.000 Euro jährlich) sollten mindestens für einen Zeitraum von fünf Jahren als Anschubfinanzierung von der Stadt Tübingen getragen werden. Der Fonds könnte in Form einer Genossenschaft, einer Stiftung oder als AG organisiert und von einem Gremium aus Verwaltung, Stadtrat, der GWG und anderen Wohninitiativen gesteuert und kontrolliert werden
  • Neue Baugebiete zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums ausweisen: Die Wachstumsflächen von Tübingen sind begrenzt. Wir fordern daher, dass die zur Verfügung stehenden Flächen vor allem zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums genutzt werden. Anders als bisherige Entwicklungsgebiete sollten die Baugebiete Hechinger Eck und Stuttgarter Straße/Aixer Straße sowie die Neuordnung der Weststadt konzeptionell unter der Frage „Wie kann langfristig bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden?“ ausgeschrieben werden. Dabei sollte hinsichtlich Rechtsform und Vorgehen der Vorhabensträger größtmögliche Freiheit herrschen. Gefördert werden sollten aber solche Träger, die die Schaffung von gemeinschaftlichem Eigentum kreativ umsetzen und die Erträge nicht Privatpersonen sondern gemeinnützigen oder öffentlichen Zwecken/Trägern zukommen lassen (insbesondere Kleingenossenschaften und Projekte des Mietshäuser Syndikats).
  • Leerstand wirksam bekämpfen: Immer wieder stehen in Tübingen auch Wohnungen und ganze Häuser leer – die Ursachen hierfür sind vielschichtig, trotzdem sollte die Stadt BesitzerInnen ermuntern, Wohnraum nicht ungenutzt zu lassen. Das Land hat den Städten hierfür ein wirksames Mittel zur Verfügung gestellt: Das Zweckentfremdungsgesetz erlaubt es Städten, mutwilligen, dauerhaften Leerstand mit einem empfindlichen Bußgeld zu ahnden. Wir fordern den Gemeinderat auf, eine entsprechende Satzung zu erlassen.
  • Selbstorganisierte Initiativen unterstützen – sozial benachteiligte Menschen nicht vergessen: Mit dem Baugruppenmodell hat die Stadt Tübingen in den letzten Jahren zahlreichen Menschen eine vergleichsweise kostengünstige Form des selbstbestimmten Wohnens durch Erwerb von Wohneigentum ermöglicht. Da dieses Modell sozial benachteiligten Menschen wenig zugänglich ist, sollten in Zukunft zudem verstärkt Initiativen unterstützt werden, die auch solchen Personengruppen den Zugang zu bezahlbarem, städtischem Wohnen ermöglichen. Auch bei der Ausweisung von neuen Baugebieten und entsprechenden Bauleitplanungen sollte ein hoher Anteil langfristig günstiger Wohnungen festgeschrieben werden – und gemeinwohlorientierte Träger und Initiativen unterstützt werden, die diese Ziele umsetzen.

Am Mittwoch, 7. Mai um 19:30 laden wir zu einer Podiumsdiskussion in die VHS am Lorettoplatz ein, um diese und weitere Forderungen und Fragen mit VertreterInnen Tübinger Parteien und Wohninitiativen zu diskutieren.

Die Regionale Koordination Tübingen des Mietshäuser Syndikats (4-Häuser-Projekt, Schellingstraße, Hegelstraße, LU15)