Unsere Erfahrungen: Tipps an andere Hausprojekte

Was wir im Prozess der Projektentwicklung und -realisierung gelernt haben –
und was wir von unseren Erfahrungen als Tipps anderen Wohnprojekten weitergeben können

Innerhalb von weniger als einem Jahr sind wir aus einem Haufen einander größtenteils unbekannter Personen zu einer Gruppe geworden, haben den Kauf, die Selbstverwaltung sowie Teilsanierung von vier (!) Häusern gestemmt und dabei gemeinsam viel geleistet.

Während eines Projekttags im Sommer 2011 haben wir uns gefragt, welche unserer bisherigen Erfahrungen uns besonders wichtig erscheinen, an welche wir uns erinnern wollen, welche wir anderen Projekten weitergeben könnten. Dabei kam eine Liste von mehr und weniger konkreten Dingen heraus, von denen wir die folgenden allen Interessierten zum Lesen empfehlen möchten, in der Hoffnung, dass Ihr vielleicht was damit anfangen könnt.

Gruppenprozess

  • Die frühe Bildung von Projektbereichen (Verwaltung/Finanzen, Sanierung, Gruppenprozess/Nutzung, Öffentlichkeitsarbeit) zu einem Zeitpunkt, als wir noch gar keine Kaufoption hatten, war enorm wichtig, um allen eine Beteiligung zu ermöglichen – und allen auch klar zu machen, dass unser Vorhaben nur klappt, wenn wir alle mehr dafür tun, als lediglich ins Plenum zu kommen.

  • Der sich häufiger treffende Koordinations-Kreis mit festen Mitgliedern aller Projektbereiche war in der Zeit, als viel gleichzeitig zu tun war, eine wichtige Struktur, um den Überblick zu behalten und auch um strategische Überlegungen zu diskutieren und fürs Plenum vorzubereiten. Inzwischen wurde der Ko-Kreis aufgelöst, die Projektbereiche koordinieren sich direkt und über das Plenum.

  • Im Plenum hat sich die zeitliche Entkoppelung von Themeneinbringung und Beschlussfassung als gut erwiesen, um zu schnelle Entscheidungen zu verhindern, Nachdenken zu ermöglichen und auch nicht Anwesenden Rückmeldungen zu ermöglichen.

  • Dass wir regelmäßig in verschiedenen Formen offiziellen Raum für Aussprache von Unzufriedenheiten und Konflikten geben haben, hat sich sehr bewährt. Dabei haben wir feste Befindlichkeitsrunden zu Beginn des Plenums eingeführt, einen realen Drückenden Schuh in den auf Wunsch anonym Zettel geworfen werden konnten, externe Moderation/Beratung bei komplexeren Konflikten in Anspruch genommen, spezielle Aussprachen im Plenum durchgeführt,… sowie regelmäßig Projekttage mit unterschiedlichen Methoden durchgeführt, um uns für wichtige Themen ausreichend Zeit zu geben.

  • Die Gründung eines Projektbereiches, der sich speziell mit unserem Prozess der Gruppenwerdung und allen Dynamiken und Schwierigkeiten darin kümmert, hat sich als äußerst sinnvoll erwiesen – nicht zuletzt weil wir ja erstmal eine Gruppe werden mussten. Wir werden diesen Projektbereich, so wie auch die anderen, in Zukunft weiterführen, denn Gruppenprozesse wollen immer wieder gut bedacht werden.

  • Dass wir uns schon vor dem Einzug ins Projekt in privaten Notlagen gegenseitig unterstützt haben, hat Vertrauen aufgebaut, Kennenlernen ermöglicht und ein klares Zeichen gesetzt, dass wir das Gemeinsame ernst meinen.

  • Immer wieder haben wir von der Unterstützung und Beratung durch kompetent externe Personen massiv profitiert. Vor allem die BeraterInnen der Tübinger Mietshäuser-Syndikats-Koordination haben eine unersetzliche Arbeit mit und für uns geleistet.

  • Die gemeinsame Sorge um eine konsensorientierte Gesprächskultur, achtsame Umgangsformen und eine verlässliche und transparente Strukturierung von Treffen (Moderation, Redelisten, übersichtliche Protokolle) haben unsere Treffen effektiv aber auch offen gehalten.

  • Zeiten und Anlässe für zwangloses Beisammensein und Kennenlernen neben den Arbeitstreffen bewusst zu schaffen, war und ist ein wichtiger Bestandteil unseres Gruppenprozesses.

  • Dass wir pragmatisch gedacht und gehandelt haben, und uns dabei trotzdem Zeit auch für ausgefallene Ideen genommen haben, anstatt ideologische Auseinandersetzungen zu führen oder Träumereien nachhängen, hat uns immer wieder vorangebracht.

  • Die Implementierung von Methoden des Projektmanagements, um die Arbeit der einzelnen Projektbereiche besser planen und koordinieren zu können, war hilfreich.

Sanierung

  • Bei der Auswahl von Handwerksfirmen hat das Einholen von Informationen und Erfahrungen anderer Projekte aus der Umgebung geholfen.
  • In Verträgen haben wir versucht, Details möglichst konkret festzuhalten.
  • Wir haben eine externe Bauleitung bezahlt. Für diese anspruchsvolle Arbeit ist Kommunikationsfähig in Richtung Projekt UND Handwerksfirmen entscheidend, der Spagat zwischen Handwerksfirmen und Projekt muss gemeistert werden.
  • Standards (was wollen wir für einen Standard schaffen) haben wir versucht vorher weitgehend festzulegen.
  • Prioritäten auf der Baustelle (was soll wann/bis wann/…) fertiggestellt sein, müssen klar kommuniziert werden.
  • Bei der Abschätzung von Eigenleistungen muss immer davon ausgegangen werden, dass es dann noch mal einiges mehr sein wird…
  • Unsere Vorgehensweise, dass alle alles sanieren, anstatt die Bewohner_innen sich nur um das je eigene Haus kümmern zu lassen, hat Ressourcen gerechter verteilt und uns einander näher gebracht.
  • Individuelle zeitliche Kapazitäten müssen gut und realistisch bedacht werden (z.B. dass sich nach Einzug erst mal viel um die Einrichtung der eigenen Wohnung dreht und wenig Zeit für andere Baustellenteile bleibt)
  • Die Sanierungskosten sollten unbedingt höher angesetzt werden als es zunächst nötig erscheint!

Finanzen/Kauf

  • Um die insgesamt zu sammelnde Direktkredit-Summe erreichbar erscheinen zu lassen und jede_n Einzelne_n mit einem erreichbar erscheinenden Teilbetrag zu motivieren, hat sich die Umrechnung der Gesamtsumme als Quotient aus Gesamtsumme durch Anzahl aller (erwachsenen) Projektmitglieder als sehr hilfreich erwiesen.
  • Um den mit Direktkrediten bisher Unerfahrenen Sicherheit und gut formulierte Argumente zu geben, haben sich Workshops mit Rollenspielen zum Werben von Direktkrediten sehr bewährt.

Öffentlichkeitsarbeit

  • Die frühe Einrichtung eines Blogs / einer Website, zur Information über das Projekt inkl. Möglichkeit zum Download von Direktkredit-Infos und –Verträgen ist sinnvoll.
  • Eine zeitige Vorstellung bei den neuen Nachbarschaften und die Pflege der Kontakte dahin, etwa durch Einladungen zu Festen usf. erleichtert dem Projekt das Ankommen in der neuen Umgebung.
  • Die Beteiligung an Festen, wie Stadt(teil)festen usf., ist eine gute Möglichkeit für sich (und um Direktkredite) zu werben und macht das Projekt bekannt.
  • Einbeziehung der lokalen Presse zu wichtigen Anlässen (Vertragsunterzeichnung usf.)

So – hier sind unsere TIPPs zunächst beendet. Wir freuen uns, wenn sie Euch und Eurem Projekt weiterhelfen und ganz besonders, wenn Ihr sie mit Euren Erfahrungen erweitert, kreativ damit umgeht und sie gern an andere und auch uns weitergebt, so dass sie – wie auch unsere Projekte – in einem beständigen Prozess bleiben!

das 4-Häuser-Projekt Tübingen im November 2011